von Sir John
Jemand ist allein. Er
sitzt allein auf einer Kugel, die sich durch den Raum bewegt.
Gesellschaft hat er nie gekannt, nie gab es ein anderes Wesen außer
ihm, aber dennoch spürt er, dass ihm etwas fehlt. Eine Leere
herrscht in seinem Inneren und erfüllt ihn mit Unruhe. Jemand kennt
das Gefühl noch nicht, aber wenn er mit jemandem von uns sprechen
könnte, würde dieser ihm sagen, dass es sich um Langeweile handelt.
Ja, Jemandem ist
langweilig. Schon seit langer Zeit ist er mit seiner Kugel unterwegs,
solange er zurückdenken kann. Andererseits auch kurz, da ihm jeder
Anhaltspunkt fehlt, um die Zeit zu messen. Keine Tage und Nächte,
keine Tätigkeit, nach deren Fortschreiten man die Zeit hätte
festlegen können, nur eine endlose Abfolge, nein, ein Strom der
Existenz.
Jemand hat Zeit. Er
verändert sich nicht, nichts verändert sich. Er kommt ins grübeln,
denkt über alles mögliche nach, über alles jedenfalls, was aus
seiner Position heraus erfassbar ist und erkennt schließlich, dass
der einzige Weg aus seiner Langeweile ist, selbst etwas zu verändern.
Für Jemanden, dem das Prinzip der Veränderung nicht bekannt ist,
ist dies eine außergewöhnliche Erkenntnis.
Zwei Möglichkeiten
fallen ihm ein, wie er etwas verändern könnte. Erschaffen oder
zerstören. Die Entscheidung fällt ihm nicht schwer. Nicht, weil er
das Zerstören als moralisch verwerflich betrachtete, Moral ist ihm
noch fremd, noch hatte niemand die Möglichkeit, sie zu entwickeln,
sondern aus dem einfachen Grund, dass das Erschaffen seiner Existenz
für eine längere Zeit einen Inhalt zu geben verspricht. Nach
Zerstörung seiner Kugel bliebe ihm nur noch die Zerstörung seiner
selbst, mehr Material war nicht vorhanden. Erschaffen kann er ohne
Grenzen.
So macht sich Jemand ans
Erschaffen. Natürlich hat er nicht die geringste Vorstellung, wie
das geht, aber er hat auch keine Vorstellung, was nicht geht.
So formt er aus nichts etwas Neues ohne um die Unmöglichkeit dieses
Vorgehens zu wissen.
Form und Eigenschaften
seines Werks sind seiner Kugel nachempfunden. Eine andere Vorstellung
von Existenz hat er ja auch noch nicht, da er sich selbst nicht als
Ganzes wahrnehmen kann. Er baut also eine weitere Kugel und als er
mit der fertig ist noch eine. Seine Zeit ist nun mit Beschäftigung
erfüllt, sein Problem gelöst. Wenn ihm von der Eintönigkeit seiner
Arbeit langweilig zu werden droht beschäftigt er sich eine Zeit lang
damit, seine einzelnen Werke in Beziehung zueinander zu setzen, sie
zu gruppieren und mit Gesetzen und Kräften auszustatten, die an
ihnen ziehen.
Nun dauert es zwar lang,
bis Jemand eine neue Kugel fertiggestellt hat, da jedoch die Zeit,
die ihm dafür zur Verfügung steht unendlich ist, hat er mit der
Zeit eine unüberschaubare Masse von Kugeln gefertigt, die den Raum
um ihn herum bevölkern. Diese Kugeln beginnen, ein gewisses
Eigenleben zu führen. Innerhalb der Gesetze, die Jemand ihnen
gegeben hat, gruppieren sich die Kugeln. Sie kreisen umeinander,
verbinden sich zu starren Formationen und bilden dadurch ganz neue
Gebilde, die wiederum miteinander reagieren und verschmelzen und
schließlich, nach einer sehr langen, wenn auch noch nicht in Jahren
gemessenen Zeit, bilden sie im Großen ab, was im Kleinen schon
existiert. Umeinander kreisende Kugeln.
Als Jemand dies sieht,
ist er sehr beeindruckt. Die neuen Formen, die Ordnung im Chaos, all
das fasziniert ihn ungemein. Er sieht, wie viel anderes man noch
erschaffen kann, viel mehr als immer nur Kugeln. Wie viel anderes man
aus seinen Kugeln schaffen kann.
Jemand fängt wieder an
zu grübeln. Er hat all dies erfunden und gefügt, er war es, der die
Idee hatte, aus der all dies entstand, die Idee, etwas zu bauen.
Wenn nun aber all diese Dinge es geschafft hatten, ohne Plan und Ziel
eine Ordnung, ein System zu bauen sollte es ihm doch möglich sein,
viel großartigere Dinge in die Welt zu setzen. Nur: Was kann das
sein? Es muss anders sein als alles, was er bisher geschaffen hat,
anders als all das, was sich auch ohne seine Kontrolle zu bewegen
versteht.
Versteht? Stellt das
wirklich eine Form von Verstand dar? Oder hat der Zufall all dies
geordnet? Was unterscheidet ihn selbst eigentlich von seinen Werken?
Lange denkt er über diese Fragen nach. Schließlich kommt Jemand auf
folgende Lösung. Der wichtigste Unterschied zwischen ihm und seinen
Geschöpfen ist der, dass er selbst Dinge erschaffen kann. Seine
Kugeln können sich innerhalb der von ihm geschaffenen Grenzen so
bewegen, wie es der Zufall gebietet, aber sie handeln nicht aus
eigenem Antrieb.
Das, so erkennt er, ist
auch die Antwort auf seine Frage, was er noch bauen könne. Ein
Wesen, dass wie er ist, das aus eigenem Antrieb handelt und Dinge
erschafft. Welches Geschöpf könnte seinem Schöpfer mehr Ehre
machen?
Sofort macht er sich ans
Werk. Er beschließt, seine Lebewesen erheblich größer zu machen,
als sich selbst. Die Tauglichkeit seiner Kugeln als Baumaterial hat
er ja schon hinreichend bewundern dürfen, als sie sich von selbst
zusammenfanden. Wenn er sie jedoch verwenden will bringt das
automatisch mit sich, dass das Endprodukt größer sein muss als
seine ersten Schöpfungen und damit als er selbst.
Zuerst denkt er sich
komplizierte Systeme aus, mithilfe derer die Wesen ihr Überleben auf
einer der großen Kugeln sichern sollen. Er entwickelt die Idee der
Energiegewinnung durch Nahrungsaufnahme und passt ihre Körper, die
er zunächst ohne feste Form lässt, den Bedingungen in einem Element
auf einer der Riesenkugeln an, die ihm passend erscheint. Seine
ersten Versuche sind in der Lage, sich zu bewegen, manche sogar
zielgerichtet, aber das geht ihm noch zu langsam. Er experimentiert
und experimentiert, entwirft immer neue Möglichkeiten, bis er auf
die Idee kommt, seinen neusten Kreationen feste Körper mitzugeben,
deren Körperteile bestimmte Zwecke erfüllen. Diese bewegen sich
schon wesentlich zielstrebiger durch das Wasser, aber Jemand ist noch
nicht zufrieden.
Auf seinen Prototypen
aufbauend entwickelt Jemand immer größere, kompliziertere und
intelligentere Wesen. Noch immer ist aber keins dabei, das selbst
Anstalten gemacht hätte, kreativ zu werden. Viele der Wesen
entwickeln sich auch von sich aus weiter, neue Arten entstehen,
andere sterben aus. Mit dieser Wendung hat Jemand nicht gerechnet. Er
merkt, dass er keine absolute Gewalt über die Entwicklung seines
Experiments hat und das ist ihm unheimlich.
Eben diese Wendung bringt
ihn allerdings seinem Ziel ein großes Stück näher. Einige Wesen
haben nämlich mit der Zeit das Element verlassen, in das Jemand
seine Kreationen bisher gesetzt hat, und erklimmen die bis daher
unbewohnten Regionen. Sie atmen das Gasgemisch, das die Kugel umgibt.
Jemand hat ihnen bisher nicht mehr als die durchschnittliche
Aufmerksamkeit geschenkt, aber nun fallen sie ihm doch ins Auge.
Er hat nämlich eine Art
entdeckt, die beginnt, Werkzeuge zu benutzen, eine vierhändige
haarbewachsene Art. Sicher, Werkzeuge haben auch andere Landbewohner
schon benutzt, auch Luftbewohner, wie Jemand sich erinnert, aber
diese Tiere haben etwas besonderes an sich. Anders als irgendein
Vogel haben sie nämlich Hände, mit denen sie zwei Dinge greifen und
miteinander benutzen können. Sie beschäftigen sich miteinander,
denken sich für Probleme Lösungsstrategien aus... Jemand ist ganz
aus dem Häuschen. Sicher, er ist noch nicht am Ziel, aber hier gibt
es einen Ansatzpunkt!
Zuerst einmal vertreibt
er größere Mengen seiner auserwählten Spezies aus den Bäumen, in
denen sie bis dahin hausten. Er bringt sie dazu, auf zwei ihrer vier
Extremitäten einherzuschreiten, damit sie die anderen beiden für
das Erschaffen frei haben, für das er sie ja entwickeln will.
Dann teilt er sie in verschiedene Gruppen, die er in verschiedenen
Gegenden der Erde, wie er die Riesenkugel nennt, ansiedelt.
Jetzt fängt er an, die
verschiedenen Gruppen verschieden weiterzuentwickeln und ihnen dann
Aufgaben zu stellen. Hitze, Kälte, Nahrungsmangel, Hindernisse,
alles, was ihm so einfällt. Manche seiner Gruppen halten es länger
durch, andere weniger lang, nach und nach sterben sie aus.
Schließlich bleibt nur noch eine Art übrig und Jemand beschließt,
mit dieser Art weiterzuarbeiten, da sie die kreativsten und
schlausten sein müssen, wenn sie es als einzige bis hier geschafft
haben. Vorerst betrachtet er seine Schöpfung jedoch noch etwas. Er
will herausfinden, wie weit er schon gekommen ist.
Jemand ist enttäuscht.
Er hat so große Hoffnungen in seine neue Art gesteckt, glaubte sich
schon am Ziel seiner Träume, als er sah, wie sich die zweibeinigen
Wesen immer neue Werkzeuge ausdachten, um sich das Leben zu
erleichtern und schließlich anfingen, Gebäude zu errichten, aber
diese Hoffnung muss er nun endgültig begraben.
Dabei hat er sich alle
Mühe gegeben, diese Narren auf dem Weg in die falsche Richtung
aufzuhalten. Mehrfach hatte er vor ihren Augen Dinge erschaffen, die
sie glauben machten, er sei allmächtig (was ja auch irgendwie seine
Berechtigung hatte), hatte Feuer entzündet, Wasser fallen lassen und
ihnen immer wieder den richtigen, von ihm geplanten Weg gezeigt, doch
die Menschen, wie sie sich selbst getauft hatten (wer gab ihnen das
Recht dazu, sich ihren Namen selbst zu suchen?), waren
unverbesserlich.
Nicht, dass sie nichts
gebaut hätten. In der kurzen Zeit ihrer Existenz hatten sie die Erde
mit zahllosen Zeugnissen ihrer Existenz überzogen und in so
unvorstellbarer Geschwindigkeit Dinge errichtet, dass Jemandem, der
ein gemächlicheres Arbeitstempo gewohnt war, fast schlecht davon
wurde. Was ihre Produktivität betraf hätte Jemand also zufrieden
sein können. Sein Problem war, dass sie all das mit ihrer
Destruktivität ausglichen.
Die Menschen waren zwar
voller Ideen, was sie noch bauen könnten, zerstörten aber mit jedem
neuen Bauwerk ein altes. Manchmal waren es menschgemachte Gebäude,
entbehrlich also, wenn es auch schade um die kreative Energie war,
die einmal hineingesteckt worden war. Immer häufiger wurden aber
inzwischen auch Jemandes Werke zerstört, seine Lebewesen
ausgerottet, seine Schöpfung mit Füßen getreten.
Nein, das ist nicht die
Spezies, die er erschaffen wollte. Ihm fällt aber auch keine
Möglichkeit ein, die Menschen noch in seinem Sinne
weiterzuentwickeln. Dazu ist es wahrscheinlich längst zu spät.
Vielleicht war er aber auch von vornherein auf dem falschen Weg.
Jemand seufzt und wendet
sich ab. Er hat noch so viele andere Kugeln, auf denen er einen neuen
Versuch starten kann. Zeit genug hat er ja.
Zeit?
Jemand lacht. Er hat die Ewigkeit!