MVJstories

MVJstories ist ein Blog, auf dem eine kleine Gruppe junger Schriftsteller Auszüge aus ihren Werken veröffentlicht. Feedback ist ausdrücklich erwünscht. Und nun viel Spaß beim lesen!

Freitag, 25. Dezember 2015

Vier Schichten - Teil III

Von Mr. Big

III

Ihre braunen, unergründlichen Augen lassen keine Rückschlüsse darauf zu, was sie über mich denkt. Ich bemerke, dass wir mit zunehmender Dauer Krümel produzieren, die sich wie kleine Geröllhäufchen auf dem Tellerboden absetzen. Ich schaue auf den Haufen und sehe das Ende unseres Treffens, die unsicheren Tage danach, ich sehe unbeantwortete Anrufe und Mailboxnachrichten. Der Strom an negativen Gedanken nimmt zu, ich muss ihn eindämmen, und zwar schnell, sonst droht er mich mitzureißen. Da stelle ich fest, dass ich es bin, der den Schutt produziert. Also kann ich ihn auch wieder entfernen. Ich hole weit aus und tauche meine Gabel in das Geröll und schlucke meine Sorgen einfach runter. Johanna sieht, wie energisch ich mich über den Schutt hermache und beginnt zu lachen.

„Wawf if so wiffig?“ halte ich ihr mit vollem Mund entgegen, was dazu führt, dass wir beide loslachen müssen.

„Nur so, ich wollte mich gerade auch über diese verdammten Krümel hermachen! Kann ja nicht sein, dass das Einzige, was von diesem schönen Kuchen bleibt, diese Krümel sind. Klar, sie gehören dazu. Aber so schlimm sind sie ja auch nicht.“

Kurios. Das ist der Moment, wo ich realisiere, dass wir total auf der gleichen Wellenlänge sind. Als wir zu Ende gegessen haben und der Aufbruch naht, stelle ich fest, dass ich die Frage aller Fragen noch nicht gestellt habe. Will sie mich wiedersehen? Ich bezahle, bringe ihr den Mantel und versuche meine Chancen aus ihrem Gesicht zu lesen. Sie lächelt mich an. Zum ersten Mal sehe ich die Silberkette, die sie die ganze Zeit um ihren Hals trug. An der Kette befindet sich ein Anhänger, der ein verliebtes Paar zeigt. Ein Zeichen? Ich hole tief Luft. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. 

„Ich muss dich wiedersehen.“, sage ich in dem Moment, als wir auf die Straße gehen.

„Wenn du das musst, dann müssen wir das wohl so machen.“

 „Soll ich dir schreiben?“

„Gerne, ich melde mich dann bei dir und bin beim nächsten Mal auf jeden Fall pünktlich.“

„Ich nehm dich beim Wort…und danke für den tollen Nachmittag.“

Mit einem Lächeln geht sie davon. Ich schaue ihr hinterher, wie sie die Straße entlangläuft und werde dieses Gefühl nicht los, das absolut Richtige getan zu haben. Ich drehe mich um und mache mich auf den Weg zur nächsten Busstation. Als ich die Mauer neben dem Café entlanggehe, bemerke ich, dass jemand die Worte „Der Tag gehört dir“ an die Wand gesprüht hat. Ich bleibe kurz stehen und genieße die herbstliche Luft. Dann richte ich meinen Hemdkragen, kuschel mich in meine dicke Jacke und beginne den Heimweg in Richtung Zukunft. Was auch immer die nächste Station sein wird, nur eines steht fest: Es wird großartig.


Donnerstag, 24. Dezember 2015

Vier Schichten - Teil II


Von Mr. Big

II

Johanna nimmt neben mir auf dem Sofa Platz. Etwas verlegen starten wir beide in die Konversation:

„Und wie geht’s dir?“

Oh man, was frage ich da eigentlich? Ihr geht es blendend. Sie ist charmant und intelligent. Ihr liegt die Welt zu Füßen.

„Gut, gut.“, antwortet sie.

„Hast du denn gut hergefunden?“

„Naja fast. Und bei dir?“

„Alles gut soweit.“

Die großen rhetorischen Ergüsse bleiben noch aus. Allerdings verschafft mir der Smalltalk etwas Zeit, mir gedanklich durch die Haare zu fahren. Sie ist einfach nur Wow. Lange, dunkelbraune Haare, braune, lebhafte Augen. Beine die sagen, hey, schau dir die Mal an. Um ihren Hals ist ein seidenes Tuch gespannt, das zum Rest farblich abgestimmt ist. Diese Frau hat eindeutig Stil. Während ich versuche, ein Götzenbild von ihr in meinen Neuronenspeicher zu brennen, platzt es plötzlich aus ihr heraus:

 „Es tut mir sooo leid, dass ich mich verspätet habe! Ich weiß auch nicht, was da heute los war. Ich bin rechtzeitig aufgebrochen, dann kam die Bahn ewig nicht, dann bin ich am Café vorbeigelaufen und musste einen Passanten nach dem Weg fragen…“

Ihre Entschuldigung ist wie Balsam für die Seele. Ich möchte mich in ihre Worte hineinsetzen und damit einreiben und…

„…deswegen war das mit der Hausarbeit so wichtig, weißt du?“

Moment, welche Hausarbeit, was habe ich verpasst?

„Ähm, öh, ähm…“

So ein Mist, einmal kurz nicht aufgepasst und schon den Anschluss verpasst. Okay, jetzt elegant das Thema wechseln, ohne zu gezwungen zu wirken. Ich schaue mich um…was ist in greifbarer Nähe …die Kerze, die Servietten…die Speisekarte! Mein Rettungsanker. Meine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte.

 „Alsoooo…weißt du schon, was du bestellen möchtest? Ich hab hier mal die…“

„Ich weiß es schon, ich nehme einen Chai Latte.“

Okay, soviel dazu. Noch immer schwebt das ominöse Thema Hausarbeit in der Luft und ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll. Mein Blick erspäht die Theke, die jetzt auf wundersame Weise zu meinem knallroten Rettungsboot wird.

„Lust auf ein Stück Kuchen? Da vorne scheint es ein paar Stücke zu geben“

 „Klar, gerne.“

In der anfänglichen Hektik hat sie ganz vergessen ihren Schal abzunehmen. Ich sehe zu, wie ein glänzender Anhänger zum Vorschein kommt. Mir bleibt keine Zeit, genaue Details zu erfassen, denn wir sind schon auf dem Weg zu Theke.

 „Moin, was darf’s denn für EUCH sein?“ fragt sodann die Verkäuferin in perfekter Hamburger Mundart. Die bewusste Überbetonung des Wortes „Euch“ führt dazu, dass Johanna und ich uns verlegen anschauen und meine Haut förmlich akupunktiert wird von diesen Worten. Na toll, und in solch einer Situation sollst du als Mann eine Auswahl zu treffen. Ein kniffliges Unterfangen… viele Kuchen- und Tortenstücke…alles nicht wirklich etwas Besonderes. Es vergehen einige Sekunden der Ratlosigkeit, bis die Verkäuferin die Situation erkennt und eingreift.

„Wir haben auch noch ein ganz besonderes Stück auf Lager, das wird euch gefallen, einen Moment“

Sie verschwindet kurz ins Hinterzimmer und ein paar Sekunden später strahlt uns ein vierschichtiges Kuchenwunder von einem silbernen Tablett aus an. Schoko, Vanille, Blaubeere und Nuss. Damit kann man einfach nicht falsch liegen.

„Das nehmen wir“, sage ich, „und dazu noch zwei Gabeln, bitte!“

Zurück an unserem Platz sitzen wir uns erwartungsvoll gegenüber. Der Smalltalk ist vorbei. Jetzt wird der andere auf Herz und Nieren geprüft. Wer macht den ersten Zug? Ist es der Mann, der von Natur aus grobschlächtigere Geselle, unkultiviert und roh, wird er mit seiner Gabel die wundervoll angehäufte Verführung zerstören oder doch der Dame den ersten Zug überlassen? Ich suche ihren Blick. Sie bringt die Gabel in Position, geht ein Stück nach vorne und zögert dann kurz.

„Willst du zuerst, oder ich?“

Ha, die Falle habe ich kommen sehen.

„Nein, nimm du ruhig. Ladies first.“

Badaabum. Falle entschärft. Ich betrachte Johanna, wie sie mit ihrer Gabel den Kuchen aufrichtet, langsam, fast schon schüchtern in die erste Kuchenschicht eintaucht, dort kurz verweilt und dann die erste Schicht abtrennt.

„ Der ist sooo köstlich.“

„Das kann ich mir vorstellen. Ich teste mal die nächste Schicht.“

Während wir so vor uns hin essen und die Zeit genießen, denke ich über den Kuchen nach und seine vierschichtige Instanz, durch die ich Johanna kennenlerne. Wie Indiana Jones hangele ich mich durch Kuchen und Konversation und bringe dabei so einiges zum Vorschein.

In der ersten Schicht, der Schokolade, entdecke ich ihre Liebe für Süßes, für Weißwein und gute Musik. Etwas tiefer geht es in der zweiten Schicht. Hier bemerke ich Verspieltheit, Ehrlichkeit und Lebensfreude. Die dritte Schicht, die Blaubeeren, imponieren mir. Ihr kesses Auftreten lässt mich darauf schließen, dass ich lieber keine Spielchen mit ihr spielen sollte. In der finalen Schicht, der harten Nussschicht, ist es anders.


Diese letzte Kuchenschicht ist der eine Moment im Universum, den du selbst definieren kannst. Nichts ist festgelegt. Es gibt nur mich, sie und das Café. Die Gabel ist unser Stift, mit dem wir die ersten Zeilen unserer Geschichte schreiben. Der Teller sind die Seiten für das Meisterwerk. So fange ich an mit meiner Gabel die vermeintliche Zukunft zu skizzieren, anzudeuten, abzuwägen. Wir beginnen ein Kennenlernen auf Kuchenebene. Happen für Happen. Schnitt für Schnitt.

Fortsetzung folgt morgen...

Mittwoch, 23. Dezember 2015

Vier Schichten - Teil I


Von Mr. Big

I

Hamburg, Altona

Aufgeregt rücke ich meinen Kragen zurecht, ziehe lange Bahnen durch mein nagelneues, sorgsam gebügeltes Hemd. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, schlagen die Zeiger der Uhr auf meine Nerven ein und machen mich nervöser und nervöser. In einem Zustand zwischen Euphorie und Apathie, bemerke ich, dass meine Hände schweißnass sind. Was geht hier bloß vor? Ruhig bleiben, immer schön ein- und ausatmen, probiere ich mir einzureden. Ach was, zum Teufel mit ruhig bleiben. Ich bin ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch! In der Hoffnung einer kurzen nervlichen Verschnaufpause blicke ich aus dem Fenster und bewundere die wunderschöne Gasse, die sich dort auftut.

Draußen scheint die Zeit einen Sprung gemacht zu haben. Obwohl es laut Kalender noch Sommer ist, sind schon die ersten Anzeichen des Herbstes zu erkennen. Gelbe Blätter fliegen sanft durch die Luft, während ihre Brüder und Schwestern bereits ihre Plätze auf dem Kopfsteinpflaster eingenommen haben. Die frische Nachmittagsluft bringt so manche Passanten in Bedrängnis. Sie ziehen sich schildkrötengleich in ihre Jacken zurück.

Mein Blick fixiert wieder die schwarz-weiße Uhr, die lustlos über der Theke hängt. Ihr mechanisches Klicken ist unter den Nebengeräuschen nicht auszumachen, dennoch verursacht jede Bewegung des Zeigers, die ich mit ansehe, ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut. Beruhige dich, noch ist nichts passiert. Noch ist Zeit. Zeit, die Essenz unseres Lebens, das entscheidende Kalkül, welches Abschnitte in Momente und Momente in Zeitpunkte verwandelt, die sich unaufhörlich aneinander reiben. Winzige Mikrosekunden werden freigesetzt, bieten Platz für flüchtige Gedanken. Wie Körner in einer Sanduhr rieseln sie im Takt der Zeiger zu Boden.

Ich überprüfe meine Vitalwerte. Mein Verstand springt von Tisch zu Tisch zu Tisch, quer durch das Café. Ich fliege gedanklich durch den Raum, vorbei an Gästen, Personal, an Tellern voll mit Kuchen und Tassen voll mit Kaffee und bleibe vor mir selbst stehen. Wie ich wohl gerade wirke? Die lockigen Haare, akkurat zerzaust, schwingen sich leicht um beide Ohren. Die Frisur, ein geordnetes Chaos, der Drei-Tage-Bart, die stoppeligen Kotletten. Alles zusammengenommen ergibt das Bild eines typischen Singles.

Hier im Café LilliSu herrscht reger Betrieb. Von meinem Sofa aus kann ich die anderen Besucher beobachten, was großen Spaß macht. Doch je mehr ich nachdenke, desto weiter entferne ich mich aus dem Café, zurück in meine Traumzwischenwelt. Tausend Fragen schießen durch meinen Kopf. Was weißt du schon über sie? Hast du dich passend angezogen? Was studiert sie nochmal? Wird sie kommen? Warum habe ich dieses Café ausgesucht? Was sind ihre Hobbies? Wird sie kommen? Über was werden wir sprechen? Wie wird ihr erster Eindruck sein? Und vor allem: Wird sie kommen?

Nun ist sie schon fünf Minuten zu spät…kein Grund zur Sorge, aber ich spüre, dass jede Zelle meines Körpers in heller Aufregung ist. In mir drin veranstalten die Moleküle einen Kurzstreckensprint auf unbekannte Länge. Ich bin aus der Puste vom Sitzen, was rede ich da, vom Warten und auf die Uhr starren. Ich muss mich ablenken. Ich spüre, wie mein Herz an mein Hemd schlägt, das mittlerweile wie ein Neopren-Anzug an meiner Brust klebt.

Das Café beginnt sich bereits zu leeren. Bald werde ich allein im LilliSu sitzen. Ich beginne, langsamer zu werden. Zäh wie Brei fließt die Enttäuschung durch meine Adern. Das Zittern beginnt zu versiegen. Fünfzehn Minuten nach um 3. Ich bin sehr altmodisch, wenn es um bestimmte Regeln geht. Das akademische Viertel ist um. Sie kommt nicht mehr, beginnt eine Stimme in meinem Kopf zu sagen. Ich wehre mich mit aller Macht gegen die Gedanken.

„Ach was soll’s“ sage ich laut und greife meine Jacke. Ich bin gerade dabei, nach dem Türknauf zu greifen, als die Tür aufschwingt und Johanna das Café betritt. Von ihr geht eine Aura aus, die einmal quer durch den Raum wirbelt. Ich schmeiße die Jacke schnell zurück zum Sofa, versichere mich, dass der Kragen richtig sitzt und begrüße sie mit einem ehrlichen:

„Schön, dass du doch noch gekommen bist.“

Sie wirkt etwas aus der Puste, wirft mir aber ein nettes Lächeln zu, das fünfzehn Minuten nervlichen Terror restlos auslöscht.

„Ich wurde aufgehalten, aber ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Danke, dass du gewartet hast.“

Schon gut, du bist es ja nicht, die die Löcher in meinem Nervensystem nachher flicken muss. Aber vielleicht brauche ich das auch gar nicht. Meine nervliche Raserei wird zu einem innerlichen Blumenpflücken, wenn ich dich ansehe.

 „Wo sitzt du?“, fragt sie. „Gleich dort drüben, sage ich und zeige auf das alte, aber bequeme Sofa gleich in der Nähe. Der Ort ist unschwer zu übersehen, er ist der Einzige, wo eine Jacke quer über dem Tisch liegt.


Das Café besitzt seinen ganz eigenen Charme. Während auf unserer Seite des Raumes Massivholztische aufwarten, sind in der anderen Hälfte beigefarbene Tische und Stühle zu sehen. Diese duale Farbschema aus hell und dunkel zieht sich entlang der Wände bis zu der Regalreihe, in deren Abteilungen alles zu finden ist, von Reisetipps über aktuelle Tageszeitungen bis zu esoterischen Magazinen und Mitnehm-Postkarten. Am äußersten Ende führt ein kleiner Gang hinein in die Küche, rechts daneben thront die Theke mit ihrem Angebot. Die Kellnerinnen, die bereits drohten in den Winterschlaf zu fallen, sind wie reaktiviert. Johannas Erscheinen ist ihr persönliches Aktionszeichen. Plötzlich erwacht das verschlafene Café zum Leben. Die Theke füllt sich, eine Kerze wird angezündet und wie durch Zauberei materialisieren sich in Millisekunden zwei Speisekarten auf unserem Tisch.

Fortsetzung folgt morgen...

Montag, 27. Juli 2015

Ein Leben zu zweit

Ich kenne dich schon so lange. Viele Jahre stehe ich dir bereits zur Seite, fast ein ganzes Leben, doch du bemerkst mich nicht. Als Kind bist du über das Brückengeländer balanciert, hoch über dem Fluss. Unten rauschte das Wasser zwischen den Steinen. Groß und spitz standen sie aus dem Flussbett hervor, das sichere Verderben für jeden, der etwa auf dem blanken Brückengeländer ausgleiten und hinunterfallen würde. Dort unten wartete ich. Nicht, um dich aufzufangen, das hätte ich nicht gekonnt, sondern um bei dir zu sein. Du aber bliebst oben.
Später, in den langen durchwachten Nächten deiner Jugend, saß ich immer mit dir und den anderen auf der Mauer bei den alten, verfallenen Industrieanlagen. Es wurde getrunken und geraucht, dann kam jemand auf die Idee, die alte Werkhalle zu erkunden. Durch ein zersplittertes Fenster sind wir hineingelangt. In der Decke klaffte ein riesiges Loch. Alle wussten, dass die Sache riskant war. Immer wieder versicherten sich alle mit nervösen Blicken der beruhigenden Anwesenheit der anderen. Manchmal stand ich direkt vor dir. Und doch hast du mich nicht gesehen.
Warum ignorierst du mich? Ich will dir doch nichts Böses, bin immer bei dir, wie gefährlich es auch wird. Hast du tatsächlich solche Angst vor mir? Kommt es dir so bedrohlich vor, endlich mit mir zu kommen, alles andere hinter dir zu lassen und aufzubrechen in ein neues Leben, eine neue Welt? Warum versteckst du dich, wendest deinen Blick ab von mir und weigerst dich, anzuerkennen, dass du mein bist, wenn nicht jetzt, dann irgendwann?
Mit 25 hattest du einen schweren Unfall. Da waren wir uns am nächsten. Ich war als erstes bei dir, nachdem der Sportwagen dich in den Straßengraben geschleudert hatte. Von dem Moment an wich ich nicht von deiner Seite. Ich war bei dir im Krankenwagen, der mit Sirenengeheul durch die Straßen raste, begleitete dich sogar in die OP, wo sich die Ärzte in fieberhafter Eile daran machten, dich noch einmal ins Leben zurückzuholen. Später saß ich an deinem Bett, Tag und Nacht, und hoffte, dass es nun endlich so weit wäre. Doch als du endlich wieder entlassen wurdest, gingst du mit jemand anderem weg, ohne mir auch nur einen Blick zu gönnen.
Du hieltest Hochzeit. Ein großes Fest rund um den kugelrunden Bauch einer Schwangeren. Drei Wochen später war es bereits soweit. Ich war nicht dabei, als deine Tochter auf die Welt kam. Nie war ich dir ferner.
Ich weiß, dass es nicht anders sein kann. Du bist noch nicht so weit, bist nicht bereit, endlich mit mir zu kommen. Ich darf nicht ungeduldig werden, muss warten, bis die richtige Zeit gekommen ist. Es ist nicht einfach für mich, doch ich weiß, dass es richtig ist. Und selbst wenn ich wollte, könnte ich denn etwas ändern? Ich bin, der auf dich wartet. Und der dich letztendlich mit offenen Armen empfängt.
Einmal noch waren wir uns sehr nah. Das war, als dein Mann dich verlassen hatte. Du warst deprimiert und ziellos. Dein Leben schien keinen Sinn mehr zu machen. Ganze Abende lang saßest du mit einer Flasche Rotwein am Küchentisch und starrtest aus dem Fenster in die Dunkelheit der beginnenden Nacht. Am Ende des Abends war die Flasche leer. Es waren diese Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass du zumindest einen Schimmer von mir erkennen kannst. Manchmal schienst du ein wenig in meine Richtung zu blinzeln, denn natürlich saß ich den ganzen Abend über mit dir am Küchentisch, und ich hoffte bereits, dass nun endlich der Moment gekommen sei, aber dann kam deine dreijährige Tochter durch die Tür getapst und wollte in den Schlaf gesungen werden und das Aufleuchten in deinen Augen zeigte mir deutlich, dass du wieder nicht mit mir kommen würdest. Nicht dieses Mal.
Danach zog ich mich ein wenig zurück. Du begannst mit dem Schreiben, um deine Gefühle der Hilflosigkeit und Verstoßenheit aufzuarbeiten, lerntest einen neuen Mann kennen und bekamst zwei weitere Kinder. Ich blieb weiter in deiner Nähe, beobachtete dich von der nächsten Straßenecke, wenn du das Haus verließest, aber ich kam dir nicht mehr zu nah. Du wurdest alt, eine alte Schönheit und hattest – zwischen vielen Falten – stets ein Lächeln im Gesicht. Enkel besuchten dich und ich sah, wie du mit ihnen spazieren gingst. Du schienst sehr glücklich zu sein.
Als dein Mann starb, war ich nicht bei dir. Ich war bei ihm und sah ihn entschwinden. Ich wollte sehen, wie es ist, wollte vorbereitet sein.
Du lebtest noch einige Jahre. Ab und zu bekamst du Besuch von deinen Kindern, aber die meiste Zeit warst du allein. Nur ich war jetzt wieder ganz nah bei dir.

Und jetzt liegst du schließlich hier in diesem dunklen Raum. Die Einrichtung ist karg. Es ist kein Zimmer, in dem man lange wohnen soll. Dein Atem geht schwer. Schleppend, fast keuchend. Dann steht er plötzlich still. Dein Herz hört auf zu schlagen. Und du siehst mich an. Siehst mir voll ins Gesicht und lächelst.
„Ist es endlich soweit?“ fragst du mit brüchiger Stimme. Ich lächele ebenfalls.
„Weißt du, wer ich bin?“
„Natürlich. Ich habe dich schon lange erwartet.“
„Nicht so lange, wie ich dich“ sage ich und strecke dir meine Hand entgegen. „Komm mit.“

Du ergreifst meine Hand. Meine Fingerknochen klappern aneinander, als du sie drückst und dich von deinem Lager erhebst. Ich lege dir meinen langen Mantel um die Schultern und eng aneinandergeschmiegt machen wir uns auf unsere lange Reise.

Samstag, 13. Juni 2015

Mansu - Teil I




Von Mr. Big

I
Inseln über dem Winde, Atlantischer Ozean (Karibik)

Der Wind strich sanft über die steinigen Klippen der Insel. Das leichte Rascheln der Lianen erfüllte den Dschungel mit seiner eigenen Dynamik. Weit unterhalb der Klippen war ein Pfad zu sehen. Er verband die zwei größten Dörfer der Insel miteinander. Hier im Nirgendwo gab es zwei Dinge zu Genüge: Die Ruhe und die Natur.

Auf einem hohen Tropenbaum, hoch über den Klippen, saß ein Vogel, den Blick auf die Wellen gerichtet, die langsam gegen den Strand treiben. Von hier oben konnte der Trupial einen Großteil der Nordseite der Insel einsehen. Im Dickicht war er verborgen, verborgen vor allzu neugierigen Blicken der Raubvögel und hoch genug, um außer Gefahr von menschlichen Jägern zu sein.  

Ein lautes Rascheln ertönte aus dem Dschungel. Emsig richtete der Trupial seinen Blick ins Gebüsch. Etwas näherte sich ihm, aber es war noch weit, weit entfernt. Seine Onyx-Augen fixierten für einen kurzen Moment die langen Palmenblätter und Lianen, die sich rhythmisch im Wind bewegen. Der Urwald auf der Insel war so dicht, dass eine ganze Horde hier verborgen bleiben könnte, ohne aufzufallen. Auch wenn Teile der idyllischen Landschaft von Menschen bereits erschlossen waren, so hatte hier die Natur noch immer Oberhand. Hier, auf diesem Baum hoch oben über den Klippen, mit den Ästen gen Meer gerichtet, gab es nichts, was darauf hinwies, dass schon jemals Menschen an dieser Stelle gewesen waren.

Die Wellen brandeten gegen die steinigen Klippen. In der Mittagshitze brannte die Sonne den Federn des Tiers, das einer Robe aus feinen orange-gelben Fasern glich. Ein Rascheln war aus dem Gebüsch zu vernehmen. Der Trupial spürte die Gefahr. Mit einem Satz schwang er sich nach oben, nur um im nächsten Moment mit übernatürlicher Kraft zurückgezogen zu werden. Es war zu spät. Die Falle war zugeschnappt.

Dicke Seile umschlangen ihn und zogen ihn in die Tiefe, weiter und weiter. Der Himmel verschwand aus dem Sichtfeld, der steinige Boden kam bedenklich nahe. Dann wurde er herumgewirbelt, orientierungslos und hilflos hing er in der Luft, gefangen von dickem Garn, aus dem es kein Entkommen gab. 

Ein Flüstern durchschnitt die Stille.

„Ich hab dich.“ 

Behutsam zog Mansu das Netz zurück. Freudig trampelte er mit seinen nackten Füßen auf dem schweren Ast des Tropenbaumes. Ein Schwarm Vögel erhob sich aus der Krone und flatterte davon. Doch das war ihm egal. Er hatte sein Exemplar gefangen. Mit einem Satz schlang er die Beine um den Ast. Unter ihm, in zwanzig Metern Tiefe, strich eine leichte Gischt aus Wasser über die Felsen. Hätte er den Halt verloren, so wäre er wie eine Melone auf dem Gestein zerschellt. Doch er verlor nie den Halt. Mansu war in diesen Wäldern aufgewachsen, kannte die Bäume wie seinen eigene Westentasche, kannte die Tücken, denen man sich aussetzte, wenn man die Lianen benutzte, gebrechliche Äste erwischte und dergleichen. Seit über zwanzig Sommern war er nun schon ein Kind des Dschungels, und sein Geschick hatte ihn noch nie enttäuscht.

Das Netz baumelte lässig zwischen seinen Beinen. Er begann, es langsam an sich heranzuziehen. Der Gefangene schlug voller Todesangst um sich, hackte, kratzte, versuchte irgendwie dem drohenden Schicksal zu entrinnen. Seine schwarzen Augen zuckten voller Panik hin und her, suchten eine Lücke, fanden sie nicht. Mansu griff nach seinem Beutel. Es gehörte zu den wenigen Utensilien, die er bei sich trug. Ein Großteil seines Oberkörpers war von grauem Schlamm überzogen. Auf seiner Brust waren Streifen in brauner Farbe zu erkennen. Diese kühlende Schicht schützte ihn vor der Sonneneinstrahlung und sorgte dafür, dass seine Haut nicht austrocknete. Unterhalb des Bauches trug er einen Lendenschutz, der aus Lumpen und Blättern bestand. Er war eng anliegend und gab ihm die nötige Flexibilität fürs Klettern. An Handgelenk, Hals und Fußknöchel glitzerten kleine Perlen in dunklen Farben, die durch biegsames Wildgras befestigt waren. 

Mansu zog sein Messer hervor. 

„Komm schon, nun hab dich nicht so.“ redete er auf das Tier ein. Im Sonnenlicht war kaum mehr zu erkennen, aus welchem Material die Klinge war. Das glasig-schwarze Metall war an den meisten Stellen mit grauen Furchen überzogen. Langsam bewegte er seine Hand in Richtung des Netzes. 

Der Vogel wand sich hilflos in seinem Elend. Das Einzige, was ihm noch blieb, war ein letztes Stoßgebet zum Vogelgott zu senden. Das Messer fuhr hernieder und grub sich in die Rinde des Baumes.

Mansu begann zu pfeifen. Plötzlich erstarrte das Tier und beäugte argwöhnisch seinen Peiniger. Der Klang eines Artgenossens drang in seine Ohren. Dennoch war ihm dieses Wesen fremd, was da mit der schwarzen Klinge saß und begann, Rinde aus dem Baum zu schälen. Mansu wusste um die Qualitäten dieses Tropenholz, das biegsame Holz eignete sich perfekt zum Verarbeiten. Im Handumdrehen hatte er einen kleinen Ring hergestellt, auf dem zwei Zeichen eingeritzt waren. Ihre uralte Bedeutung war nur noch wenigen bekannt.



Die Schrift stammte noch aus der Zeit vor der Besiedlung der Insel durch die „Weißen“, wie er sie nannte. Vor ca. 100 Jahren waren sie gekommen, brachten ihre eigene Kultur und Sprache mit und verdrängten nach und nach die Alteingesessenen, die Einheimischen der Insel, deren Sprache  [ Ðælon ] gewesen war. Nicht mehr als ein paar tausend Sprecher waren in ihre Geheimnisse eingeweiht. Und da die fortschrittlichen Kolonialisten sich nicht die Mühe gemacht hatte, sie zu erlernen, hatten sie sie nach und nach abgeschafft. Erst mit ihren eigenen Sprache, dann mit Erziehung, später mit Gewalt.

Mansu griff erneut in seinem Beutel und schob den Ring zwischen die Finger. Mit einer filigranen Bewegung glitten seine Hände ins Netz. Im nächsten Moment hatte er den Vogel gepackt, stecke ihm einen Korn in den aufgerissenen Schnabel und befestige sogleich den Ring an seinem Fuß.

Verblüfft, fast schon skeptisch starrte in der Trupial an. Mit einem leichten Ruck öffnete er wieder das Netz. Das Tier sah seine Chance gekommen und flog hinaus, nur um sich im nächsten Moment auf einem naheliegenden Ast niederzulassen. Der hölzerne Ring war deutlich an seinem Fuß zu erkennen. 

„Willst du mehr?“

Er schnippte ein Korn aus seiner Hand. Es segelte hoch. Einen Moment später schoss der Vogel hervor und verspeiste es. Mansu begann wieder zu pfeifen. Es war eine komplexe Abfolge an Tönen, die nur sehr wenige Menschen beherrschten. Einzelne Artgenossen lösten sich aus den Kronen der umliegenden Bäume und versammelten sich um ihn. Sie alle trugen einen Ring um die Beine und waren mit der Zeit von ihm gezähmt wurden. Zufrieden lehnte sich Mansu zurück und ließ die Sonnenstrahlen über sein Gesicht tanzen.

Fortsetzung folgt...

Mittwoch, 3. Juni 2015

Langeweile

Ich muss vorweg sagen, dass ich oft nicht darum herum komme meine Wochenenden, die doch als Erholung von den anstrengenden Strapazen von Montag und seinen, aus ähnlichem Holz geschnitzten Brüdern: Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, zu verplanen.
Ich weiß nicht woran das liegt, doch ich vermute, dass es etwas mit mir zu tun hat. Wie oft sehnte ich mich doch nach einem Wochenende, an dem ich einfach nichts zu tun hatte. Einfach mal abschalten, nichts tun.
Nun endlich war es soweit. Es war Freitag. Freitags habe ich immer sehr zeitig Feierabend und an diesem Freitag, sowie an den folgenden beiden Tagen, hatte ich bisher nichts vor.
Ich ging also gemütlich nach hause, genehmigte mir noch eine Tasse Kaffee, und während ich abwechselnd einen Schluck aus meiner Tasse und einen Zug von meiner - mit Kaffee-liquid gefüllten – Dampfmaschine nahm, überlegte ich, was ich mit diesem Wochenende denn nun anfangen sollte.
Sofort fielen mir Unmengen an Dingen ein. Von alltäglichen Haushaltsdingen über lesen bis hin zu faulenzen, war alles dabei. Doch ein schneller Gang durch die Wohnung zeigte auf, dass es gar nicht so viele alltägliche Dinge zu erledigen gab und mit einer Sanierung der Wohnung, die sie durchaus einmal nötig hätte, wollte ich mich nicht an meinem freien Wochenende herum plagen.
Ich ging also weiter zu meinem Bücherregal. Ich sortierte alle Bücher, die ich bereits gelesen hatte fein Säuberlich rechts von mir auf den Boden und alle, die ich zwar noch nicht gelesen hatte, aber auch nicht lesen wollte, links von mir. Übrig blieb ein leeres Regal.
Da sich die Situation nun so anbot und ich ohnehin nichts anderes zu tun hatte, holte ich nun einen Lappen aus der Küche und wischte das Regal so Gründlich wie irgend möglich aus.
Als der Staub nun Platz machte und mir die abgenutzten, hölzernen Zwischenböden offenbarte, zögerte ich nicht lange, holte die Holzlasur und begann das Regal auf Vordermann zu bringen.
Entweder, bin ich während der Arbeit durch ein Wurmloch gefallen ohne es zu bemerken, oder ich habe verdammt schnell gearbeitet. Jedenfalls war ich nach meinem Empfinden fertig gewesen bevor ich überhaupt angefangen hatte. Immer noch an der Wurmlochtheorie festhaltend, schaute ich mich vorsichtig um, in Erwartung darauf, dass ich mit einem Lappen durch die Tür kommen würde um das Regal sauber zu machen. Ich überlegte sogar, was ich mir sagen würde. Dass das Regal bereits gesäubert und neu lasiert war. Doch ich kam nicht.
Bald wurde mir klar, dass dies auch gar nicht sein könnte, da ich ja dann bereits erlebt hätte, wie ich... also... nun ja... die Sache mit den Zeitreisen ist doch sehr speziell...
Nun befand ich mich in einer Zwickmühle, denn ich hatte einerseits die auf dem Boden befindlichen Bücher und auf der anderen Seite das frisch gestrichene Regal. Ich war machtlos. Ich musste mich dem Zwang ergeben einfach abzuwarten. Und so warf ich mich auf mein Bett um dem Punkt faulenzen nachzugehen.
Die folgenden 07:42 Minuten, lassen sich in drei Phasen teilen:

Phase 1: (eingetreten nach 22 Sekunden)
Ich langweile mich. Ich beginne leise zu summen.

Phase 2: (Eingetreten nach 03:54 Minuten)
Das Summen beginnt mich zu langweilen. Ich höre auf und beginne nach kurzer Pause zu pfeifen.

Phase 3: (Eingetreten nach 05:01 Minuten)
Ich springe von meinem Bett auf und beginne, meine E-Zigarette als Mikrofon haltend vor dem Spiegel dramatische Musicalsongs nachzusingen.

Nach 07:42 Minuten, brüllt ein Nachbar über den Hinterhof, ich solle das Fenster zumachen. Das Fenster war zu. Kurz war ich beeindruckt wie laut dieser Nachbar brüllen konnte, dann überlegte ich was ich nun tun sollte.
Draußen schien die Sonne. Doch um raus zu gehen war ich zu träge. Es war ja schließlich mein freies Wochenende.
Vorsichtig fasste ich das Regal an um zu überprüfen, ob es den schon trocken war. Es war noch nicht trocken. Ich wusch mir die Hände und mein Blick fiel erneut aus dem Fenster.
Jetzt kam mir eine hervorragende Idee. Ich holte meinen Liegestuhl aus einer Ecke, stellte ihn vor das Fenster und einen Sixer Bier direkt daneben. Das Wochenende konnte beginnen.
1 ½ Bier später setzte wieder die Langeweile ein. Ich begann mir sinnlos Apps und Spiele für mein Handy herunterzuladen. Eine sogenannte Kuckucksapp, sollte jede volle Stunde damit einleiten, dass ein digitaler Kuckuck aus einer digitalen Kuckucksuhr kam und Radau machte. Den Radau konnte man selbstständig einstellen und der Kuckuck kam dann im Rhythmus zu dem individuellen Radau aus seinem Heim. Ein Wecker für Idioten wenn man so will. Nichts desto Trotz, lud ich mir gleich noch den nervigsten und grausamsten Klingelton herunter, den man sich vorstellen kann. Oder auch nicht vorstellen kann. Er war wirklich schrecklich.
Weitere zwei Bier Später wurden auch die Apps langweilig. Und nach weiteren 2 ½ Bier in tödlicher Langeweile, war der Abend für mich gelaufen. Das Bier war alle.
Ich überlegte ins Bett zu gehen doch dafür war es noch zu früh. Nicht jedoch um den Rest des Tages in einer Kneipe zu verbringen.
Und so begab ich mich in die schäbigste Szenekneipe, die ich finden konnte, in der Hoffnung, hier billigen Alkohol abgreifen zu können. Billig war er aber nicht vom Preis. Als ich ein Bier und einen Whisky bestellte, bekam ich ein Sternburg und ein Glas Jack Daniels.
Erst wollte ich mich beschweren, doch dann fiel mir wieder ein, dass ich bereits sechs Bier getrunken hatte und einen Jack Daniels ohnehin nicht mehr von einem Laphroaig unterscheiden konnte. Also nahm ich das Gesöff hin und gleich noch vier weitere.
Im Uhrzeigersinn drehte ich meinen Kopf über den Tresen um das drehen, dass durch den Alkohol verursacht wurde auszugleichen. Ich hielt nur kurz inne um einmal einen Schluck des guten verachtenswerten Giftes zu mir zu nehmen und mich darauf hin schneller zu drehen um die Runden wieder aufzuholen, die mein Kopf mir voraus war.
Dann kam ein kahlköpfiger, tätowierter, grimmig drein blickender Genosse an den Tresen und bestellte sich, ich zitiere: „Das beste, was dieser Laden zu bieten hat.“
Er bekam ein Sternburg und ein Glas Jack Daniels.
Kollege!“ Sprach, oder lallte ich ihn an und sein grimmiger Blick wanderte zu mir. „Setz dich, wir müssen reden.“
Noch immer grimmig blickend setzte sich der geschätzte Kollege, und ich begann einen Monolog. Ich erzählte, wie wenig ich an diesem Wochenende doch zu tun hatte und das auch nichts da war, was mir erlaubte es zu erledigen. „Nicht einmal die Wäsche!“ Lallte ich. „Sonst habe ich immer Wäsche aber Heute, nichts!“
Weiter erzählte ich ihm, dass das ja aber nun alles nicht mehr so schlimm sei, da ich ja endlich einen Kneipenbruder gefunden habe. „Einen guten Freund erkenne ich sofort, mit einem Blick.“ Beteuerte ich und stieß mit ihm an.
Der Mann blickte noch immer finster drein und ich hatte das Gefühl, dass sogar seine Tattoos und sein kahler Kopf grimmig drein blickten. Es war seltsam.
Ich weiß nicht was ich mir dabei gedacht habe, vielleicht wollte ich das Gespräch auf ihn lenken oder aber, ich wollte die Stimmung etwas heben jedenfalls stellte ich im weiteren ungefähr folgende Frage:
Mein teuerster Freund, du hast ja eine schöne Glatze da auf dem Kopf aber da stellt sich mir doch schon so lange eine Frage, die ich jetzt einfach stellen muss. Bitte verzeih mir wenn es unhöflich ist aber, benutzt du für deinen Kopf auch Haarshampoo oder benutzt du einfach Bodylotion?“
Der Mann begann lauthals an zu lachen und sagte: „Mein lieber Freund, seit 20 Jahren gehe ich jeden Abend in diese Kneipe um meine Frau nicht ansehen zu müssen und stehe erst kurz bevor ich wieder in die Kneipe gehe auf. Mein Körper hat also seit 20 Jahren weder Haarshampoo noch Bodylotion geschweige denn eine Dusche gesehen. Bestenfalls eine Bierdusche.“

Vom weiteren Verlauf des Abends weiß ich nicht viel. Ich wachte am nächsten Morgen auf, weil ein Kuckuck aus meinem Handy sprang und grausame Dinge herum radaute. Ich sprang auf, hielt mir meinen hämmernden Schädel, wunderte mich über die Kahlköpfige Gestalt in meinem Bett, ging versuchte mich zur Tür zu hangeln, stolperte über die, zwar noch nicht gelesenen Bücher, die ich aber auch nicht lesen wollte und landete im immer noch nicht trockenen Bücherregal.
Und so begann mein Samstag.



Victor Ian Clockwork - In gedenken an ein unvergessliches und meiner Phantasie entsprungenes Wochenende.